„Der Großteil der Nahmobilität findet im kommunalen Raum statt.“

Im Interview verrät NRW-Verkehrsminister Krischer, wie er die Kommunen stärker unterstützen wird und welche Rolle die AGFS NRW dabei spielt.

Oliver Krischer ist 1969 in Zülpich geboren, verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Im Alter von fünf Jahren stieg der NRW-Verkehrsminister zum ersten Mal auf’s Rad und hat in seiner Jugend die Eifel mit dem Rennrad entdeckt. Die erste große Fahrradtour führte den Volljährigen dann bepackt mit Zelt und Satteltaschen nach Holland ans Meer. In seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter in Berlin nahm Oliver Krischer an vielen Rad-Aktionen für die Mobilitätswende teil - quer durch das ganze Regierungsviertel.
 

Herr Krischer, als Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr stehen in einem Industrieland wie Nordrhein-Westfalen einige großen Herausforderungen in Ihrer Verantwortung. Welche Ziele haben Sie sich persönlich für Ihre Amtszeit gesteckt?

Mein Ziel ist, Nordrhein-Westfalen als internationalen Vorreiter der Verkehrswende und als Innovationsstandort mit nachhaltigen Lösungen für die Mobilität der Zukunft zu etablieren. Wir brauchen eine umwelt- und klimagerechte Mobilität, die den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Wirtschaft entspricht. Für eine moderne Infrastruktur müssen wir in vielen Bereichen den Investitionsstau abbauen. Wichtig dabei ist, Praxis und Forschung direkt zu verbinden, um die Potenziale zum Beispiel durch Digitalisierung, vernetzte Mobilität, emissionsfreie Antriebe und Elektrifizierung bestmöglich zu nutzen.

Ein essenzieller Baustein ist hier die Nahmobilität: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie viele Menschen das Fahrrad als alternatives Verkehrsmittel nutzen wollen. So sind die Verkaufszahlen für Fahrräder deutlich gestiegen und auch die Reichweite der zurückgelegten Strecken hat sich dank der Pedelecs deutlich erhöht. Hier wollen wir ansetzen und eine komfortable und sichere Infrastruktur schaffen.
 

Zuvor waren Sie in Berlin Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Zum Thema Verkehr haben sie sich in der Öffentlichkeit bislang vor allem zur Elektromobilität und dem Öffentlichen Personennahverkehr geäußert. Welchen Stellenwert wird die Nahmobilität, also der Fuß- und Radverkehr, in Ihrem Ministerium einnehmen?

Die Nahmobilität hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung für die Menschen in NRW gewonnen. Es gibt offene Baustellen im Rad- und Fußverkehr, die wir beherzt anpacken wollen. Unter anderem werden wir deshalb genauso viele Mittel für den Neu- und Ausbau von Radwegen wie für Landesstraßen zur Verfügung stellen und damit die Mittel für den Radwegebau insgesamt erhöhen. Auch ist der Fachkräftemangel in den Kommunen und beim Landesbetrieb Straßenbau ein großes Problem, wir arbeiten hier mit Hochdruck an Lösungen.
 

Ihre Vorgänger:innen, Hendrik Wüst und Ina Brandes, haben das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz (FaNaG) und den zugehörigen Aktionsplan auf den Weg gebracht. Möchten Sie diesen Ansatz noch mit weiteren, eigenen Akzenten stärken?

Bis zum Jahr 2027 wollen wir 1.000 Kilometer neue Radwege bauen und so ein möglichst flächendeckendes Netz herstellen. Wir arbeiten auch an einem Radwegelückenkataster, an einem Bedarfsplan für Radschnellverbindungen und am landesweiten Radvorrangnetz. Die bereits beschlossenen sieben Radschnellwegprojekte treiben wir prioritär voran und bei den Regionalniederlassungen von Straßen.NRW werden wir jeweils eine Stabsstelle Radverkehr schaffen. Des Weiteren befinden wir uns aktuell in der Umsetzung des Aktionsplans zum Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz - hier werden bestimmt noch Punkte hinzukommen. Es ist auch geplant, das Gesetz und den Plan zu evaluieren und fortzuschreiben.
 

Die AGFS NRW engagiert sich stark bei der Umsetzung des Aktionsplans. Wie schätzen Sie die Potenziale des Netzwerks ein und sehen Sie weitere Anknüpfungspunkte für die zukünftige Zusammenarbeit?

Die AGFS NRW ist ein Kompetenznetzwerk und hat großes Potenzial für die Förderung des Rad- und Fußverkehrs. Sie dient zum einen als Multiplikatorin in den Kommunen und ist zum anderen eine Denkfabrik in Sachen Nahmobilität. Die AGFS kann gemeinsam mit unserem Haus viele weitere Hilfestellungen für eine bessere Nahmobilität in den Kommunen erarbeiten, denn der Großteil der Nahmobilität findet im kommunalen Raum statt.

In früheren Interviews haben Sie bereits angekündigt, mindestens so viel Geld in den Radwegebau zu investieren, wie in den Straßenbau. Im Koalitionsvertrag wurden 1.000 km neue Radwege bis 2027 vereinbart. Wie wollen Sie dieses ambitionierte Ziel erreichen?

Wir werden zum Beispiel die Kommunen bei der Planung und dem Bau kommunaler Radwegenetzte unterstützen und den Abruf der Förderprogramme erleichtern. Hier haben wir mit NRW.URBAN bereits einen starken Partner, der die Kommunen bei der Antragstellung für das Förderprogramm Nahmobilität unterstützt. Wir wollen ermöglichen, dass mehr kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Planung und den Bau von Radwegeinfrastruktur über die AGSF NRW und auch das Zukunftsnetz Mobilität NRW fortgebildet werden.

Im Rahmen der Fachkräfteausbildung beim Landesbetrieb Straßenbau werden wir darauf hinwirken, dass mehr Fertigkeiten und Wissen zur Rad- und Fußwegeinfrastruktur vermittelt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt werden unsere Fahrradprofessuren sein, die das Land einrichten will. Hier finden bereits erste Gespräche mit den betroffenen Ministerien statt. Auch die Kompetenz von Fahrradverbänden und der radaffinen Öffentlichkeit holen wir in unser Boot, denn gemeinsam kommen wir schneller ans Ziel.
 

Auch der Fußverkehr wird im Koalitionsvertrag genannt. Bislang gibt es so gut wie keine Fördertöpfe für diese Verkehrsart. Mit welchen Maßnahmen werden Sie das Zufußgehen fördern?

Der Fußverkehr fällt in der öffentlichen Debatte viel zu oft hintenüber, dabei ist er für uns alle relevant und alltäglich. Unser Ziel ist es, komfortable, sichere und barrierefreie Wege und Straßenquerungen zu schaffen. Dafür werden wir unter anderem das Programm „Fußverkehrscheck NRW“ ausweiten: Hier werden Kommunen systematisch für die Umsetzung von sicheren und attraktiven Fußwegen, Fußverkehrsnetzen und deren Finanzierungsmöglichkeiten beraten.

Auch ist unser Förderprogramm Nahmobilität für Projekte zur Verbesserung des Fußverkehrs geöffnet – mit der AGFS NRW haben wir dank ihrer kommunalen Fachkompetenz eine starke Partnerin.
 

Die AGFS NRW nimmt seit fast 30 Jahren eine zentrale Rolle als Multiplikatorin zwischen den Kommunen und dem Land NRW ein. Welche Vision haben Sie für die Zusammenarbeit mit unserem kommunalen Netzwerk? Wird es einen intensiven Austausch geben?

Die AGFS hat 30 Jahre lang Erfahrung als Multiplikatorin, das wollen wir weiter nutzen. Die bewährte Zusammenarbeit wird auch in dieser Legislaturperiode weitergeführt und ausgebaut. Die institutionelle Förderung der AGFS NRW ist der erste Schritt zu einer weiteren intensiven Zusammenarbeit und er wird nicht der letzte sein.
 

Und wie stehen Sie privat zur Nahmobilität? Legen Sie Strecken lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück?

Ich bin gern an der frischen Luft und dankbar, wenn ich meine Termine auch mal ohne Dienstwagen erreichen kann – egal ob zu Fuß oder mit dem Rad. Privat steige ich regelmäßig auf den Sattel und bin gern wandernd in meiner Heimatregion Eifel unterwegs.

Dieses Interview ist zuerst in der "nahmobil" (Heft 20, November 2022) erschienen. (Download als Pdf)